Textile Research Centre (TRC) Leiden/Niederlande
16.September – 17. Dezember 2020 

Als geschichtliche Quellen reflektieren die ausgestellten Objekte den Alltag der Niederländer unter der deutschen Besatzung in den Jahren 1940-1945. Für ein tieferes Verständnis braucht es die Geschichten, die hinter den Objekten stehen.

Die Geschichten zu den Objekten findet man auf dem Blog des TRC.

Die Geschichte der kanadischen Rot-Kreuz-Quilts – A peace offering to bitter enemies: Another quilt story – gehört zu den schönen Geschichten:

Hier lesen

Wie die kanadischen Rot-Kreuz-Quilts in die Ausstellung kamen, kann man in meinem Bericht nachlesen.

Ein persönlicher Bericht zur Ausstellung 

„Textile Tales from the Second World War“ ist eine der wenigen textilen Ausstellungen, die trotz der Corona-Krise 2020 stattfinden konnte. Lange hatten die Direktorin des TRC, Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood und ihre Mitarbeiter hin und her überlegt: digital oder real? Die Unsicherheiten und Einschränkungen, die auf sie selbst und auch auf die anderen an der Ausstellung Beteiligten zukommen würden, hatten sie im Kopf, dennoch: Es wurde eine reale Ausstellung. Die Eröffnung fand als ‘non-opening opening’  statt, es gab also keine geladenen Gäste, kein Essen, keinen Vortrag. Mit sieben Personen – einigen Repräsentanten der mennonitischen Gemeinde und  Mitarbeitern des TRC –  muss es eine intime Veranstaltung gewesen sein. Auf den angekündigten Film zur Ausstellungseröffnung freue ich mich. 

Hogewoerd 164, 311 HW Leiden – hier befindet sich das Textile Research Centre. Fast könnte man vorbeilaufen an dem roten Backsteinhaus in der kleinen Straße, denn es fügt sich ganz bescheiden in die Reihe der anderen Backsteinhäuser ein. Hat man es dann gefunden: einfach eintreten und man gelangt zuerst in den kleinen Ausstellungsraum. Dahinter liegen ein Arbeitsraum für  Workshops, die Bibliothek und ein Büro. Nicht zu vergessen das Herzstück des Instituts: das Depot mit mehr als 30 000 Objekten – eine Fundgrube für Textilbegeisterte. Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood begrüßt ihre Gäste, Lynn Kaplanian-Buller und mich, mit Wasser und Kaffee: „More coffee please, we need more coffee!“ Ich fühle mich angekommen. Augusta, eine der ehrenamtlichen Assistentinnen von Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood wirft die Kaffeemaschine an. Sie klärt uns auf: Die für uns bereitliegenden Croissants seien die besten, die außerhalb von Frankreich zu bekommen seien. Sie muss es wissen, sie ist Französin. 

Lynn Kaplanian-Buller und ich sind da, um gespendete Quilts aus der Nachkriegszeit für die Ausstellung zu bringen. Zusammengebracht hatte uns Esther Miller. Ich hatte Esther Miller für meine Broschüre Notzeit-Quilts: Work in Progress 2019 in Berlin interviewt. Damals machte sie mich auf das Buch von An Keuning-Tichelaar und Lynn Kaplanian-Buller (2005) Passing on the Comfort – The War,The Quilts,and the Women Who Made a Difference aufmerksam. Das Buch erzählt die Geschichte zweier ganz unterschiedlicher Frauen, die sich über mennonitische Quilts kennenlernten. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Lynn Kaplanian-Buller wurden die Quilts, die An Keuning-Tichelaar über das MCC – das mennonitische Zentralkomitee – in den 1940er-Jahren als Spende für Flüchtlinge erhalten hatte, später als Sammlung übergeben. Natürlich interessierten mich die mennonitischen Quilts. Schon während  der Arbeit an meiner Broschüre zu den kanadischen Rot-Kreuz-Quilts auf eine Notiz gestoßen:„Please contact Lynn Kaplanian Buller. The quilts belongs to her now and she knows more about it/them.She has lots of photographies.“  (1996, aus den Unterlagen von Chrilla Wendt). Ich schrieb Lynn Kaplanian-Buller an: Es wäre doch schön, wenn die mennonitischen und die kanadischen Rot-Kreuz-Quilts zusammen in einer Ausstellung gezeigt werden könnten, denn sie hätten ja eine gemeinsame Geschichte. Und ja: Im September 2020 reiste ich mit sieben der 2019 in Gröbenzell ausgestellten kanadischen Rot-Kreuz-Quilts im Koffer nach Leiden.

Details Comforter Bars and Tumbler

Detail Zigzag

Lynn hatte mich tags zuvor am Bahnhof Leiden Centraal abgeholt. Danach hatte sie mich zuerst zur Unterkunft gefahren und danach zum Abendessen eingeladen. Am nächsten Tag fuhren wir dann mit den Quilts zum TRC. Ich bekam gleich eine Stadtrundfahrt, denn was in Leiden mit dem Fahrrad in 5 Minuten geht, dauert mit dem Auto auch mal 15 Minuten – vorausgesetzt, man hat ein funktionstüchtiges Navigationsgerät , sonst entsprechend länger. Wir vereinbarten dann gleich, dass ich das nächste Mal zu Fuß zum TRC kommen würde. Geschafft! Wir waren da, der Parkplatz vor dem TRC war unserer. Natürlich galten beim Eintritt und auch sonst die gängigen Hygienevorschriften: Hände desinfizieren, eine Begrüßung ohne Händedruck, Abstandhalten bei der Arbeit und beim Kaffee. Apropos Kaffee: Ja, diese Croissants haben ihren Namen verdient. Leider, so die Anmerkung von Augusta , müsse man vor 14.00 Uhr beim Bäcker sein, um noch Mandelcroissants  zu ergattern, denn die seien noch besser als die normalen Croissants. 

Genug geschwärmt von kulinarischen Köstlichkeiten, die Quilts wollen gehängt werden. Das Team des TRC hat bereits Vorarbeit geleistet. Die linke Seite des Ausstellungstraums ist reserviert für Textilien und andere Objekte aus den Beständen des TRC. Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood  ließ es sich daher nicht nehmen, uns zuerst mit den Geschichten der Uniformen, Kleidungsstücke, Schmuckstücke und Dokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu überraschen: Als geschichtliche Quellen reflektieren die ausgestellten Objekte den Alltag der Niederländer unter der deutschen Besatzung in den Jahren 1940-1945. Interessant sei, welche der aus den unterschiedlichen Regionen der Niederlande stammenden Volkstrachten sich von den Nationalsozialisten bestens in ihre Rassentheorie eingliedern lassen konnten. Zum Symbol des Widerstandes gegen das Naziregime sei die Margerite ernannt worden. Als Accessoire in Form von Ansteckern und selbstgemachtem Schuck sei sie von vielen Niederländern getragen worden. Als 1943 die Tochter von Prinzessin Juliana und Prinz Bernhard geboren wurde, habe sie den Namen Margriet erhalten. Mit der Verknappung von Textilien habe sich auch die Mode verändert. Schmückendes Beiwerk wie Biesen oder Taschen, die einen erhöhten Stoffverbrauch bedeuteten, seinen verschwunden, denn es habe strikte Regeln bei der Herstellung von Bekleidung gegeben, erklärt uns Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood  und zeigt uns die Schaufensterpuppen mit Kleidungsstücken aus den 1940er-Jahren. Wir gehen weiter zu einem ausgestellten schwarzem Anzug: Die Menschen seinen erfinderisch geworden. Man habe sich Kleidung geteilt. Wie das funktionierte, zeige die Geschichte dreier Männer, die zusammen einen Anzug besaßen: der eine hatte die Jacke, der andere die Hose und der dritte besaß die dazugehörige Weste. Unter Freunden habe man dann bei Bedarf alles zusammenfügen können. Wir gehen weiter  zur Vitrine mit kleinen Alltagsobjekten, darunter auch Streichhölzer: Ob wir wüssten, dass viele Menschen im Knopfloch ein Streichholz trugen und zwar mit orange gelben Kopf nach oben als geheimes Zeichen des Widerstands und Symbol des Patriotismus? Nicht alle Geschichten seien amüsant, so Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood, bewegt habe sie die Geschichte, die hinter dem Taschentuch mit den eingestickten Namen verbunden sei: Nach der Befreiung seien mehr als 100.000 Kollaborateure in Internierungslager gesperrt worden. Aus einem solchen Frauen-Lager stamme das Taschentuch, auf dem die Frauen ihre Namen und den Tag ihrer Ankunft gestickt hätten. Wir stehen vor den Schneiderbüsten mit Kleidern aus Fallschirmstoffen. Hier endet unsere Führung in Stille. Nicht nur lustige Geschichten sind es eben, die mit den Objekten verbunden sind, sondern auch traurige, tief bewegende. 

Durchatmen und an die Arbeit. Zwei nette Assistentinnen, Augusta und Sophia, werden mir zur Seite gestellt. Es dauert ein bisschen, bis wir die kanadischen Rot-Kreuz-Quilts platziert haben und wir werden es am nächsten Tag, nachdem  auch die  mennonitischen Quilts da sind, wieder ändern müssen. So unterschiedlich sind sie, die „Notzeit-Quilts“, die über das kanadische Rote Kreuz und die mennonitischen Quilts, die über das MCC nach Europa geschickt wurden. Für die zwei Damen und den Herrn aus Friesland, die die mennonitischen Quilts gebracht haben, gibt es die obligatorische Führung durch die Ausstellung in ihrer Landessprache. Und natürlich wartet im Anschluss schon der Kaffee, diesmal mit einem „update“, was die Croissants betrifft: Ich war rechtzeitig beim Bäcker, um die begehrten Mandelcroissants zu bekommen. Dann kommt der Abschied.

Es waren ruhige und schöne Tage in Leiden. Ich habe nette und hilfsbereite Menschen erlebt. Natürlich war es nicht leicht, als Deutsche einen Teil dieser Ausstellung mitzugestalten. Fragen, die ich mir selbst schon gestellt hatte und mir heute leider wieder stellen muss, konnten nicht beantwortet werden. Es gab bewegende Momente. Aber vor allem habe ich die verbindende Kraft von Quilts gespürt: Nach 75 Jahren bringen die „Notzeit-Quilts“ aus der Kriegszeit immer noch Menschen zusammen. Menschen ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts und Menschen unterschiedlicher Nationen, die eine Ausstellung organisieren. Wir waren erstaunt, wie viele Gemeinsamkeiten, seien es der Beruf, die Flucht- und Migrationserfahrungen unserer Familien oder ganz einfach  die Vorliebe für französische Croissants, uns verbindet. Die Quilts  mit ihren Geschichten sollten weiterhin ausgestellt werden.  

Die digitale Version der Ausstellung findet man auf der Website des TRC.

Hier wird der geschichtliche Hintergrund zur Ausstellung erläutert. 

 

Lektüre zu den Quilts:

Keuning-Tichelaar, An / Kaplanian-Buller, Lynn: Quilts verbinden – Erzählungen von Krieg, beherzten Fraune und beseelten Decken  (2016)

Modersitzki, Monika: Notzeit-Quilts: Work in Progress (2020)